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In ihrem Herbstgutachten 2014 prognostizieren die Institute in der Gemeinschaftsdiagnose einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,3% (68%-Prognoseintervall: 1,1% bis 1,5%) für das Jahr 2014. Für das kommende Jahr erwarten sie einen Anstieg um 1,2%. Vor einem halben Jahr waren noch Veränderungsraten von 1,9% für dieses und 2,0% für kommendes Jahr erwartet worden. Die Änderung der Prognose basiert zum Teil auf einer veränderten Datengrundlage; das Statistische Bundesamt hat im September 2014 die Ergebnisse der Generalrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) vorgelegt. Wichtiger ist aber, dass seit dem Frühjahr immer mehr Indikatoren auf eine geringere konjunkturelle Dynamik in der zweiten Jahreshälfte hindeuten.

Nicht nur die Institute wurden in ihren Erwartungen enttäuscht; auch in den Unternehmen und bei den privaten Haushalten hat sich Ernüchterung über die Aussichten breit gemacht. Dies liegt zum einen am außenwirtschaftlichen Umfeld: Die europäischen Nachbarländer scheinen sich langsamer als erwartet von der Krise zu erholen und die globale wirtschaftliche Dynamik hat sich eingetrübt. Zum anderen bleiben die binnenwirtschaftlichen Expansionskräfte hinter den Erwartungen zurück: Die Institute waren bisher davon ausgegangen, dass die für Deutschland historisch niedrigen Zinsen die Investitionstätigkeit stärker stimulieren würden. Mehr und mehr zeichnete sich in den vergangenen Monaten aber ab, dass die deutsche Investitionsschwäche struktureller Natur ist. Die Wirtschaftspolitik ist in diesem Umfeld gefordert, die Wachstumsmöglichkeiten in Deutschland zu verbessern.

Im September 2014 wurden vom Statistischen Bundesamt erstmals Ergebnisse nach der Generalrevision 2014 der VGR veröffentlicht. Die quantitativ bedeutsamste Änderung mit Auswirkung auf das Niveau des nominalen Bruttoinlandsprodukts betrifft die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (FuE). Die FuE-Aufwendungen von Unternehmen wurden bisher in den VGR als Vorleistungen gebucht. Da Vorleistungen bei der BIP-Ermittlung vom Produktionswert abgezogen werden, waren FuE-Aufwendungen bisher nicht im BIP enthalten. Da das aus Forschung und Entwicklung resultierende Wissen im Produktionsprozess wiederholt genutzt werden kann, wird es nunmehr als Kapital angesehen. Deshalb werden die FuE-Aufwendungen als Investitionen verbucht und erhöhen so das BIP.

Neben der Umstellung auf das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 2010 wurden mit der Generalrevision eine Reihe weiterer Änderungen vorgenommen, die durch Neuerungen im Datenangebot ermöglicht werden oder mit denen die Vergleichbarkeit der VGR-Ergebnisse innerhalb der EU erhöht werden soll. Alles in allem hat die Generalrevision dazu geführt, dass das nominale BIP im Zeitraum von 1991 bis 2013 durchschnittlich um 3% höher ausgewiesen wird als bisher. Auf konzeptbedingte Änderungen wie die Verbuchung der Ausgaben für FuE als Investitionen oder die geänderte Zuordnung militärischer Waffensysteme entfallen rund 80% des Gesamteffekts. Auf nicht-konzeptbedingte Änderungen gehen die restlichen 20% zurück, wobei hier vor allem die Neuberechnung der Wohnungsvermietungen aufgrund des Zensus 2011 zu Buche schlägt.

Auf der Verwendungsseite des BIP erhöht sich durch die Revision die Investitionsquote (Anteil der Bruttoinvestitionen am BIP) um rund 2 Prozentpunkte. Auf der Verteilungsseite des BIP ist die Lohnquote (Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen) ab dem Jahr 2005 aufgrund der Aufwärtsrevision des Arbeitnehmerentgelts leicht gestiegen, die Gewinnquote entsprechend leicht gesunken. Die Schuldenstandquote (Bruttoschuldenstand des Staates in Relation zum BIP) ist aufgrund der genannten Daten- und Konzeptänderungen auf 76,9% im Jahr 2013 gesunken.

Betrachtet man die Revisionsergebnisse für einzelne Jahre, so fällt die Korrektur der Jahresrate des realen BIP im Rezessionsjahr 2009 am größten aus (jetzt: 5,6% statt -5,1%). Im Gegenzug wird für die beiden Folgejahre ein etwas kräftigerer Anstieg ausgewiesen. Die jahresdurchschnittlichen Veränderungsraten des realen BIP für die Jahre 2012 und 2013 sind gegenüber dem alten Datenstand hingegen merklich nach unten revidiert worden, nämlich um 0,3 Prozentpunkte pro Jahr. Dies ist allerdings weniger Folge der Generalrevision als vielmehr der turnusgemäß überarbeiteten Datengrundlage am aktuellen Rand.

Die deutsche Konjunktur hat im ersten Halbjahr 2014 spürbar an Dynamik verloren. Dazu hat der Außenhandel beigetragen, da die Exporte deutlich schwächer zulegten als die Importe. Nach einem kräftigen Jahresauftakt dämpften im zweiten Quartal aber auch inländische Einflüsse; insbesondere die Investitionen trugen negativ zur Veränderung bei, vom Konsum kamen kaum Impulse. Die schwache Entwicklung der Ausfuhren bis zur Jahresmitte ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. So konnte die Konjunktur in einigen wichtigen Abnehmerländern deutscher Exporte nicht an Fahrt gewinnen. Dies betrifft in erster Linie den übrigen Euroraum. Aber auch in Schwellenländern wie China verringert sich die Wachstumsdynamik, wenn die Expansion auch kräftig bleibt. Ferner war der Handel mit Russland im ersten Halbjahr rückläufig, allerdings setzte dieser Prozess bereits im Jahr 2013 ein – und damit vor dem russisch-ukrainischen Konflikt.

Vor diesem Hintergrund haben die Institute die Relevanz konjunktureller Entwicklungen in wichtigen Partnerländern für die deutsche Konjunktur analysiert. Mit Hilfe eines globalen vektorautoregressiven Modells (VAR-Modell) und eines für Deutschland geschätzten dynamischen, stochastischen Allgemeinen Gleichgewichtsmodells (DSGE-Modell) wurde untersucht, wie weit die verschiedenen Partnerländer zur schwachen Exportentwicklung Deutschlands beigetragen haben und welche inländischen Faktoren die Abnahme der konjunkturellen Dynamik begründen. Das globale VAR-Modell berücksichtigt 27 Länder, die ca. 85% des deutschen Handelsvolumens und der globalen Wirtschaftsleistung auf sich vereinen. Bei dem DSGE-Modell handelt sich um ein Zwei-Länder-Modell für Deutschland und den übrigen Euroraum. Alles in allem sind für den Rückgang des BIP im zweiten Quartal beiden Modellen zufolge primär inländische Faktoren verantwortlich. Auf längere Sicht gab es allerdings auch maßgebliche negative Impulse aus dem Ausland; diese scheinen aber im zweiten Quartal in der Summe an Bedeutung verloren zu haben.

Die ungünstigen außenwirtschaftlichen Einflüsse dürften wieder zunehmen. Darauf deuten auch die Erwartungen der Unternehmen hin, die sich in den letzten Monaten kontinuierlich und sektorenübergreifend verschlechtert haben. Besonders stark sind seit August 2014 die Erwartungen von Unternehmen mit Russlandgeschäft gesunken. Zwar waren bislang die direkten Auswirkungen des russisch-ukrainischen Konflikts gering. Jedoch deutet die eingetrübte Stimmung darauf hin, dass die Folgen dieses Konflikts die (langfristigen) Geschäftsbeziehungen mit Russland nachhaltig beeinträchtigen, und sich künftig stärker als bislang auf den Handel auswirken.


DOI: 10.1007/s10273-014-1735-1

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